Allgemein

Dritter Brief an meine Nichte

Liebe Jule,

es ist nicht zu glauben, dass du so schnell gewachsen bist und glatt deinem ersten Bike schon nach einem halben Jahr entwachsen bist. Sollte da der Osterhase ein neues Rad bringen? Logisch, dass ich mich gleich auf die Suche nach dem passenden Fahrrad für dich gemacht habe. Da deine Lieblingsfarbe momentan Violett ist, war das kein leichtes Unterfangen. Und leicht sollte es natürlich wieder sein, damit du es gut handeln kannst. Der Markt bietet ja inzwischen neben dem allseits in Elternkreisen heißbegehrten Woom tolle Alternativen wie Pucky, Cube, Naloo, und wie die Marken alle heißen, eindrücklich beweisen. Aber keines der gefunden Räder war violett . Also doch wieder ein Woom?

Aber woher nehmen, wenn es beim Händler in der Umgebung keine Bikes gibt, direkt beim Hersteller ebenso wenig und die Lieferzeiten nicht abzuschätzen sind aufgrund der momentanen schwierigen Beschaffung von Fahrradteilen durch die Corona-Krise. Nun, es führte kein Weg an den einschlägigen Gebrauchtwarenhandelsportalen vorbei. Ich traute meinen Augen kaum, was da für Preise für ein gebrauchtes Woom aufgerufen werden. Mir wurde von den Zahlen ganz schwindelig. Aber es half ja nichts, du brauchst ein neues Fahrrad, damit du bei dem langsam einsetzenden Frühling wieder die Straßen unsicher machen kannst. Aber immer, wenn ich einem violetten Kindertraum zum Greifen nah war, schnappte es mir ein anderer vor der Nase weg. Ich war richtig gefrustet. Kurznachrichten wechselten zwischen deinen Eltern und mir täglich hin und her, was wir denn nun machen sollten. Wir sahen dich schon mit deinem zu klein gewordenen Fahrrad weiterhin fahren. Der Gedanke stimmte mich aber traurig und wenn deine Tante etwas will, dann setzt sie alle Hebel in Bewegung.

Hartnäckig durchforstete ich das Netz, trat Woom-Gruppen bei, damit ich sofort am Start sein konnte, wenn sich am Woom-Himmel doch noch dein violetter Traum auftun sollte. Tage vergingen, nichts tat sich und die Zeit bis Ostern rückte immer näher. Mein Stoßgebet zum Woom-Himmel wurde aber dann doch noch in letzter Sekunde erhört. Ich stieß auf ein Verkaufsangebot zu einem humanen Preis und auch noch direkt um die Ecke. Nichts wie eine Nachricht geschrieben, obwohl die Besucherzahl der Anzeige schon sekündlich zunahm. Aber siehe da, ich bekam unmittelbar eine Antwort mit positiver Resonanz. Sofort ließ ich das Rad reservieren und tatsächlich bekam ich den Zuschlag. Ich schwang mich bei strömenden Regen ins Auto und fuhr deinem violetten Traum entgegen. Es war nicht zu fassen, ich hatte es geschafft, ein violettes und gut erhaltenes Woom Rad für dich zu ergattern. Bis Ostern konnte ich es aber dann doch nicht mehr erwarten und so kam es, dass du dein Rad schon zwei Wochen eher bekamst. Dein Strahlen erwärmte mir das Herz. Zum Glück hatte Mama an den Fahrradhelm gedacht und der Weg für die erste Probefahrt war frei. Am Anfang warst du obgleich der neuen Größe zwar noch etwas unsicher, aber nach ein paar Runden im Hof saustest du umher, sodass Papa schon Angst um sein Auto hatte. Deine erste Ausfahrt führte zu einem nahe gelegenen Bauernhof. Doch auf der Rückfahrt ging dir die Puste aus. „Ich kann nicht mehr“, brachtest du mit leidender Stimme hervor und so kam es, dass deine Tante das Fahrrad nach Hause trug.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.