Schwungvoll und leicht wie eine Feder rollen wir an unserem Übernachtungsziel ca. 20 Kilometer von Kassel entfernt auf den Hof. Es ist heute erst 17 Uhr, als wir die Pension bei strahlendem Sonnenschein und in bester Laune erreichen – Schnitt! Das Drehbuch unsere Reisereportage sah die Szene so vor, doch die Realität war eine andere. Der Tag verhieß zunächst auch herrlich zu werden Die Akkus waren voll, das Wetter blendend und wir bester Dinge. Übermütig wollten wir dem Fuldaradweg R1 folgen, obwohl das für uns eine Strecke von 134 Kilometern bedeutete. Bis zuletzt vor Reiseantritt hatte ich einen extremen Respekt vor dieser Etappe. Die “Kassler Berge”, die steilen Aufstiege und Gefällstrecken auf der Autobahn A7, kannte ich gut. Daher wusste ich, dass diese Passage für uns auf dem Bike kein Zuckerschlecken werden würde, die Berge mir durchaus kräftemäßig zum Verhängnis werden könnten. Zu Beginn unserer heutigen Tour besichtigten wir aber erst einmal die Burgenstadt Schlitz eingebettet in die Mittelgebirgslandschaft Vogelsberg, Rhön in Knüll. Nach dem Sightseeing radelten wir den schön ausgebauten Fuldaradweg weiter. Auffallend sind auf diesem die “Fahrradstationen” in Form größere überdachter Schutz- und Rasthütten. Die Strecke wird von zahlreichen Radfahrern frequentiert, zeitweise kamen wir aus dem Grüßen entgegenkommender Radler gar nicht mehr heraus. Landschaftlich fand ich es persönlich ein wenig langweilig, Kornfelder wechselten sich mit Wald und Wiesen ab. Dazwischen plätscherte die Fulda in ihrem Bachbett gemächlich dahin und wand sich in Schleifen durchs Tal. Stellenweise erinnerten Seerosen an die Bilder Monets. Erst nach Rotenburg an der Fulda wurde es für meine Begriffe landschaftlich abwechslungsreicher und interessanter.
Lag es an den Bergformationen, die wie Kamelhöcker wirkten? In Alsheim, das von Solarmodulen um den gesamten Ort herum wie ein Stadtwall eingekreist war, gönnten wir uns eine Mittagspause. Im Anschluss setzten wir unseren Weg über Melsungen fort. Doch nach Melsungen wurde die Route plötzlich länger anstatt kürzer und Melanie schockte mich, dass es immer noch 37 Kilometer bis zum Ziel seien. Aber je näher wir Kassel kamen desto größer wurde der Frust, denn 18 Kilometer bis Kassel und ein Höhenanstieg auf einer Länge von 19 Kilometern sollten noch kommen. Entnervt stürmte Meli in eine kleine Bankfiliale, in der sie von draußen schon eine Steckdose entdeckt hatte, um den Akku zu laden, der sonst auch seinen Dienst versagt hätte. Nach kurzer Ladepause bissen wir wieder die Zähne zusammen. Mittlerweile beherrsche ich das Spiel mit der Schaltung und den Fahrmodi des Motors im Schlaf. Um 21.30 Uhr erreichten wir Kassel. Bis zur gebuchten Pension wären es noch weitere knapp 20 Kilometer und etliche Höhenmeter mehr gewesen. Das könnten wir vergessen, zumal der Pensionsbesitzer nicht auf unsere Ankunft warten wollte.
Nun standen wir ratlos am Bahnhof in Kassel. Der Versuch die Räder in einem größeren Taxi unterzubringen, scheiterte. Ein Hotelzimmer aufgrund der gerade stattfindenden Documenta zu finden ein Lotteriespiel. Last Minute ergatterten wir noch ein Zimmer in einem Hostel und fielen völlig erschöpft ins Bett.